Prävention von Burn-Out u.ä.

Ansätze zur Prävention von krankmachender Führungsarbeit, insbesondere Burn-Out

Dass Führungsarbeit leider dazu beitragen kann, krank zu machen, ist offenkundig bzw. kann mit hoher Wahrscheinlichkeit vermutet werden.

Dazu ein Blick in das was die öffentlichen Krankenkassen praktisch jährlich feststellen:

 

 

 

 

 

 

 

Der Anteil psychischer Erkrankungen wächst stetig:

 


Gisela Stübner 2005, Burnout – Die Chance anders zu leben

Stübner gibt 10 Anregungen, die ein weiteres Abgleiten in Burnout verhindern können/sollen:

  1. Ab und zu einen Schritt zurücktreten
  2. Mit dem Verleugnen aufhören
  3. Isolation vermeiden
  4. Die Lebensumstände ändern
  5. Die Hintergründe entdecken
  6. „Nein“ sagen lernen
  7. Meine Werte überprüfen
  8. Das persönliche Tempo finden
  9. Die Bedürfnisse erkennen, wahrnehmen und verantwortlich damit umgehen lernen.
  10. Sinn für Humor neu entdecken. (oder überhaupt erst mal entdecken)

Vgl. Gisela Stübner 2005, Burnout – Die Chance, anders zu leben. aus Brennpunkt Seelsorge


Betriebliches/behördliches Gesundheitsmanagement

Ziel eines betrieblichen bzw. behördlichen Gesundheitsmanagements ist es deshalb, eine dauerhafte und flächendeckende Gesundheitsförderung kulturell und strukturell zu verankern. Betriebliches Gesundheitsmanagement soll daher zu einem integrativen Bestandteil der Organisationskultur werden.

Ziele:

  • Leistungsfähigkeit der Führungskräfte und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten und stärken.
  • Identifikation, Motivation und Arbeitszufriedenheit erhalten und stärken.
  • Attraktivität als Arbeitsgeber steigern.

Strategie:

  • Gesundheitliche Ressourcen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten und stärken mit besonderem Blick auf die Folgen des demographischen Wandels.
  • Führungskräfte für die Notwendigkeit und die Möglichkeiten einer wirksamen Gesundheitsförderung sensibilisieren und qualifizieren.
  • Gesundheit als strategisches Organisationsziel verankern und entwickeln.
  • Ganzheitliche Konzepte der Gesundheitsförderung formulieren und umsetzen.
  • Gesundheitsmanager/innen und Gesundheitscoachs qualifizieren
  • Gesundheitsförderliche Haltung und Verhalten bei Führungskräften, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Wissen und Erfahrung stützen.
  • Arbeitsbedingungen und Arbeitsprozesse gesundheitsgerecht gestalten.

Zwischen dem Gesundheitsstatus der Bevölkerung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteht ein positiver Zusammenhang. Gesundheit und Bildung sind deshalb die wichtigsten strategischen Ressourcen Baden-Württembergs“. Dies betont die Gesundheitsstrategie Baden-Württemberg 2009, mit der die Landesregierung auf die Bedeutung eines aktiven Gesundheitsmanagements als wichtiger Standortfaktor hinweist. Denn gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zufriedener, motivierter und damit leistungsfähiger.​

Wachsende berufliche Belastungen durch Stress führen zu Beeinträchtigungen der Gesundheit, Motivation und der damit verbundenen Leistungsfähigkeit vieler Menschen. Gute Führungskräfte übernehmen deshalb eine direkte Verantwortung für die strukturelle und persönliche Gesundheitsförderung (so die entsprechende Formulierung der Führungsakademie Baden-Württemberg).


Simon Hahnzog 2015, Gesunde Führung, Impulse für den Mittelstand.

Simon Hahnzog, Münchner Psychotherapeut und Berater für das betriebliche Gesundheitsmanagement, kommt zu folgenden Ergebnissen (ebenda S. 39):

„Führung steht im Mittelpunkt einer gesunden Unternehmenskultur. Dort ist sie auf der zentralen Wirkungsebene eingebettet zwischen der Wirkungsebene der Mitarbeiter und der des Unternehmens. Sie stetig zu entwickeln, stellt somit die Kernaufgabe der Betrieblichen Gesundheitsförderung dar.

Diese Wirkungsebenen stehen in einer stetigen Wechselwirkung zueinander, so dass Mitarbeiter mit Führungsverantwortung zwangsläufig einer doppelten psychischen Belastung ausgesetzt sind. Letztendlich profitiert also vor allem die Führungskraft selbst davon, wenn sie ihre Führungsarbeit gesund gestaltet. Damit Führung gesund sein kann, sind Kopf, Herz und Hand der Führungskraft gefragt. Für den nachhaltigen Erfolg ist dabei weniger das fachspezifische Wissen, sondern vor allem das Wissen um die Wirkung, die Ziele und Entscheidungen bedeutsam.

Hierfür sind beständige (Selbst-)Reflektion des eigenen Handelns, die Kenntnis um die eigene Persönlichkeit, ihre Bedürfnisse und Grenzen, eine notwendige Voraussetzung. Da Führung immer im sozialen Kontext stattfindet, sind Kompetenzen zur Gestaltung der zwischenmenschlichen Interaktion erforderlich. Eine professionelle Kommunikationsfertigkeit ist daher eine grundlegende Voraussetzung gesunder Führung. Nicht nur für die Gesundheit einzelner Beteiligter, sondern für die gesamte Unternehmenskultur ist es enorm bereichernd, wenn die Möglichkeit zu gemeinsamer Reflektion gegeben und idealerweise sogar institutionalisiert wird.

In einem Unternehmen hingegen, in dem Probleme aus Angst vor Sanktionen oder aufgrund unproduktiver Konkurrenz totgeschwiegen werden (nur um dann in schwierigen Zeiten wieder aufzuerstehen), wird nicht nur unmittelbar enormes Ideenpotential vergeudet, sondern auch mittelbar die psychische Gesundheit der Mitarbeiter gefährdet. Die Kommunikation der Beteiligten, die Haltung gegenüber Problemen und ihren Lösungen im Unternehmen, sowie der Umgang mit individuellen, Belastungen haben erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden. Wenn sich so viele Beteiligte wie möglich ressourcenorientiert miteinander austauschen und dadurch miteinander in Kontakt treten, dann ist dies nicht nur ein wichtiger Beitrag für die Gesundheit, sondern sichert auch nachhaltig die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen und die Entwicklung neuer Lösungen. Dadurch trägt gesunde Führung direkt zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei und sichert allen Beteiligten eine produktive Zukunft. “

Quelle: S. Hahnzog (2015), Gesunde Führung, Impulse für den Mittelstand, S. 39.


Marturano, Mindful Leadership, Ein Weg zu achtsamer Führungskompetenz, Freiburg 2015

Janice Marturano

Einen anderen Fokus auf das Thema der Leistungsgrenze verfolgt Janice Marturano, eine langjährige Vizepräsidentin bei dem US-Konzern General Mills, die schließlich – wegen der großen Nachfrage in USA und darüber hinaus – das Institut für Mindful Leadership gegründet hatte.

Mit Mindful Leadership (achtsame Führungskompetenz) wurde eine Trainingsmethode entwickelt, die vielbeschäftigten Führungskräften helfen soll, ihre angeborenen mentalen Fähigkeiten zu trainieren. Bei dieser meditativen Trainingsmethode, die sowohl einzelnen Führungskräften, als auch ganzen Führungsteams angeboten wird, geht es darum, im Wege der angebotenen Retreats (meditative Trainings für Führungskräfte) die häufig verschütteten intuitiven Fähigkeiten des Geistes wieder stärker zu nutzen.

Marturano hat zahlreiche Erfahrungen mit vielbeschäftigten Führungskräften ausgewertet, die darauf hindeuten, dass wirklich weise Entscheidungen eines Führungsteams bei schwierigen, hochkomplexen Problemlagen eher dann zustande kommen, wenn – trotz des stets bestehenden Zeitdrucks – meditative Auszeiten eingebaut werden. In diesen Auszeiten können die Führungskräfte auf ihre individuellen Intuitionen lauschen – und damit auch die bisweilen verschütteten persönlichen Erfahrungsschätze der Vergangenheit aus dem Unterbewusstsein reaktivieren bzw. auf die aktuelle Entscheidungssituation intuitiv richtig anwenden.

Ziel der achtsamen Führungskompetenz ist es, sich und andere mit Exzellenz zu führen und dabei die kollektive Erfahrung und Intuition für Entscheidungen zu nutzen (vgl. ebenda S.19). Maturano ist davon überzeugt, dass Führungsteams häufig zu viele Sitzungsmarathons absolvieren – welche Kreativität und Weisheit bisweilen durch zu viele ausgesprochene Worte eher behindern (vgl. ebenda S. 16 und 21) – einfach weil Entspannungsphasen notwendig sind, damit die reflexiven und intuitiven Fähigkeiten des menschlichen Geistes überhaupt wirken können.

Nach derartigen Retreats, in denen Führungsteams Meditationstechniken erlernt haben, merken übrigens fast immer gerade die Mitarbeiter der Führungskräfte deutliche positive Veränderungen im Hinblick auf die Fähigkeiten der Führungskräfte, vor allem wirklich präsent zu sein und besser zuzuhören (und dann tatsächlich weise zu entscheiden; Vgl. ebenda S. 26):

„Eine achtsame Führungskraft verkörpert Führungspräsenz, indem sie Konzentration, Klarheit, Kreativität und Mitgefühl zum Wohle anderer entwickelt.“  Marturano 2015, Mindful Leadership, Ein Weg zu achtsamer Führungskompetenz, S. 24.

Auch wenn das Konzept nicht primär zur Stressbewältigung entstanden ist – sondern um die kollektive Erfahrung und Intuition für Entscheidungen zu nutzen (vgl. ebenda S. 19), gibt es dennoch empirische Indizien, dass eine derartige Achtsamkeitspraxis tatsächlich auch zu mehr Widerstandsfähigkeit führt (Resilienz), um die Herausforderungen des Lebens mit mehr Gelassenheit zu überstehen (vgl. ebenda S. 31).

Diese Neuerscheinung ist auch nach Überzeugung des FIDES-Projektteams eine der wichtigsten Neuerscheinungen der Managementliteratur des Jahres 2015 und bestätigt auch eigene Berufserfahrungen unseres Teams: häufig konnten gerade nach Auszeiten (einem Heraustreten aus dem kontinuierlichen Sitzungstress) die besten bzw. überzeugendsten Problemlösungen gefunden werden.

Im Werk „Mindful Leadership“ geht die Autorin auf die Achtsamkeit der Führungsperson ein und gibt besondere Anleitungen zu „Meditativen Pausen“ zur Förderung der Aufmerksamkeit innerhalb eines achtsamen Führungs- und Arbeitsstiles.

Die Praxis, absichtlich Zeiträume frei zu halten wurde zu einer Schlüsselerfahrung der Gruppe dafür, wie Atempausen Innovationen beflügeln.

(Vgl. Janice Marturano 2014, Mindful Leadership, S. 79f)


Basler/Gattinger 2014, Führen an der Leistungsgrenze

Als letztes Buch stellen wir hier Basler/Gattinger, Führen an der Leistungsgrenze, Wiesbaden 2014, vor. Das Buch von Susanne Basler und Klaus Gattinger beruht offenbar auf langjährigen Erfahrungen als Coach von Führungskräften im Allgemeinen und einem Praxisprojekt zur Vermeidung von Burn-Out im Besonderen (vgl. ebenda S. 6). Es ist verdienstvoll und mutig, dass die beiden erfahrenen Berater – als mit die ersten überhaupt – sich um das Problem „Führen an der Leistungsgrenze“ kümmern bzw. heranwagen. Auch die im Buch ausgesprochenen Hinweise, wie an der Leistungsgrenze vermieden werden kann, dass sich Mitarbeiter tatsächlich überanstrengen, sind überwiegend praxisnah und nachvollziehbar (vgl. insbesondere den Abschnitt zur Führung auf dem Hochleistungsplateau, ebenda S. 160ff.). Demgegenüber erscheint die in diesem Buch gewählten Begriffsbildungen teilweise missverständlich und vermutlich nicht unbedingt zukunftsfähig.

Verdienstvoll und grundsätzlich gelungen ist jedoch der Versuch der Autoren, die Bedeutung des Menschenbilds auf die konkrete Führungssituation praxisnah zu beschreiben (vgl. ebenda S. 26f.) und auch den Problemen Schuld (ab S. 18) und Scheitern (S. 158) nicht auszuweichen. Hier PDF-Download des Inhaltsverzeichnisses Führen an der Leistungsgrenze

Insgesamt ist zu wünschen, dass das Thema von Wissenschaft und Praxis weiter und verstärkt disziplinübergreifend erforscht werden sollte. Es handelt sich immerhin um ein hochkomplexes Zusammentreffen medizinischer, psychologischer und betriebswirtschaftlicher Sichtweisen mit hoher Relevanz für die arbeitende Bevölkerung.

Wegen ihrer Praxisrelevanz erläutern wir noch die Argumentationslinie von Basler/Gattinger in ihren Hauptkapiteln (knappe Zusammenfassung unter Verwendung der Terminologien der Verfasser):

  • Die Führungskraft im Spannungsfeld: Das Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit wird aus Sicht der Führenden erläutert. Die Autoren gehen davon aus, dass die Energie des Spannungsfeldes eine positive Kraft sei, die die Führungskraft nutzen sollte.
  • Die verändernde Kraft des Menschenbildes: Je nachdem welches Menschenbild Vorherrscht, kann der weitere Verlauf einer Situation beeinflusst werden: „Ein wesentlicher Teil unserer inneren Landkarte ist unser Welt- und Menschenbild.“ (ebenda S. 33).
  • Der Irrtum an der Leistungsgrenze: die Autoren differenzieren zwischen Belastungs- und Leistungsgrenze. Die Mitarbeiter sollten an der Belastungsgrenze ihre Widerstandsfähigkeit aufbauen können, um einen Burn-Out zu verhindern. An der Leistungsgrenze sollte „Wachstum- und Kompetenzaufbau“ ermöglicht werden.
  • Das Powerline-Modell: In diesem Kapitel wird das Instrument zur Bestimmung von Positionen der Mitarbeitenden, im Bezug auf die individuellen Leistungsgrenzen, das „Powerline-Modell“, vorgestellt. Dabei spielt die Subjektivität eine wichtige Rolle.
  • das Instrumentarium zum Leistungsoptimum: „Um Mitarbeiter nachhaltig in einem Zustand hoher Leistungserbringung zu halten, ist es wichtig, das Potential der subjektiven Bewältigungskompetenz nicht vollständig auszuschöpfen.“ (ebenda S. 72)
  • Die Mechanismen in die Spitzenleistung: „Als Führungskraft sind Sie … gefordert, die Balance zwischen gesteigerter Belastung und Kraftreserven des Mitarbeiters zu halten, um Bewältigungskompetenzen und damit Leitung zu entwickeln aber Verschleiß zu vermeiden.“ (ebenda S.130)
  • Die Dynamik von Burn-Out: Burnout kann aus systemischer Sicht als Lösung eines Dilemmas im sogenannten Tetralemma verstanden werden (vgl. ebenda S. )
  • Den Stein ins Wasser werfen- Das Kräftefeld im Unternehmen: „Sie können das Kräftefeld – die Welle – nicht kontrollieren. (…) Ihr Erfolg wird letztlich davon abhängen, wie oft Sie wieder aufsteigen.“ (ebenda S. 226)
  • Die 13 1/2 Prinzipien zum Führen an der Leistungsgrenze: Dieses Kapitel dient zur Zusammenfassung von allen prinzipiellen Ansätzen der vorherigen Kapitel. Zusammenfassend wird die Auffassung vertreten, dass „es mit dem Spannungsfeld nicht einfacher (im Sinne von trivialer) wird, aber eine Leichtigkeit und Leichtfüßigkeit in der Handhabe  entstehen“ könne (ebenda S. ). Zusätzlich wird zum Abschluss jedes Kapitels ein klarer Appell an die Leser zur praktischen Umsetzung gegeben.

„Schützen Sie Ihre Mitarbeiter an der Belastungsgrenze vor Ausbeutung und fordern sie an der Leistungsgrenze Entwicklung“ (ebenda S. 230).


Ergänzend noch eine aktuelle Dissertation: das Beispiel von Antje Willoh, die 2014 bei Prof. Claus Steinle (Hannover) promovierte. Vgl. Willoh 2015, Positiv erlebte Führungsbeziehungen; Entstehung relationaler produktiver Energie in der Interaktion zwischen Führungskraft und Mitarbeiter.

Wie stark das Thema mittlerweile (endlich) in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, zeigen auch die beiden jüngsten Forschungsprojekte aus 2016:

  • Martin Högl/ Matthias Weiß/Silja Hartmann, Resilienz in Teams, Rückschläge im Team verarbeiten und überwinden. (Prof. Dr. Martin Heigl ist Leiter des Instituts für Leadership und Organisation, LMU München), das Projekt gehört zu dem vom Freistaat Bayern geförderten interdisziplinären Forschungsverbund Forchange von 5 Bayerischen Universitäten: www.forchange.de).
  • Sabine Sonnentag, Arbeit und Erholung, Was trägt zu guter Erholung bei? Forschungsprojekt im Fachbereich Psychologie der Universität Mannheim.