Vergebung

Wer vergibt, heilt auch sich selbst

von Dr. Christian Marettek

Es gehört zu den, mittlerweile auch psychologisch bestätigten Weisheiten der Bibel, dass aktiv ausgesprochene Vergebung gerade auch dem Geschädigten nutzt, der also vergibt. Dabei ist Vergebung sicherlich häufig etwas Schwieriges bzw. „Unerhörtes“!

Hierzu werden zwei Bücher zitiert:

Johann Christoph Arnold 2010, Wer vergibt, heilt auch sich selbst. Dieses Buch eines New Yorker Pastors hat die entsprechende Weisheit Jesu einer größeren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Arnold zitiert einleitend Nelson Mandela, der in seinem Leben lange unberechtigt im Gefängnis saß:

„Verbitterung ist wie ein Gift, das du trinkst und dabei hoffst, es vergifte deine Feinde“ (S.13)

Johann Christoph Arnold 2010, Wer vergibt, heilt auch sich selbst, bringt erschütternde Beispiele aus dem Gemeindealltag, wie wir sie auch aus unseren deutschen Gemeinden (z.B. FeGs) kennen:

  • Da ist z.B. Brenda, die von ihrem Onkel als Kind jahrelang sexuell missbraucht wurde, dadurch auch alkoholabhängig wurde und trotz Intensivseelsorge (mit psychiatrischer Begleitung) einen Selbstmordversuch übte. Die kombinierten Bemühungen der Psychiater, Psychologen und Seelsorger scheiterten leider daran, dass Brenda nicht bereit war zu vergeben. Dazu Arnold: „Für jeden Fall von der Art Brendas gibt es andere Fälle, in denen das Opfer auf dem Weg der Vergebung fähig wird, das Leben noch einmal neu anzupacken und dessen glückliche Seiten zu entdecken.“
  • Gerade weil Arnold mit einem gescheiterten Fall beginnt, nimmt man ihm im Folgenden auch die positiven Fallschilderungen ab. Erst Recht, wenn ich mir bewusst mache, dass wir auch im Umfeld unserer Gemeinde bzw. der Studentenarbeit in den letzten 20 Jahren fünf ähnliche Fälle haben bzw. hatten, von denen immerhin vier das Leben durch die Liebe der Geschwister, die Fachkunde der Therapeuten und die Kraft des Heiligen Geistes neu gefunden haben – wenn sie denn teilweise auch noch hart zu kämpfen haben.

Die Ursachen für positive Fälle kann man natürlich nicht genau identifizieren: sicherlich sind die Liebe der Geschwister, die Fachkunde der Therapeuten sowie vor allem die Kraft des Heiligen Geistes zentrale Einflussfaktoren. Eines steht jedoch regelmäßig im Mittelpunkt: die aktiv ausgesprochene Vergebung.

Arnold ist als Therapeut und Seelsorger Spezialist für Konfliktbewältigung und hat weltweit Menschen beraten, die im Teufelskreis der Gewalt steckten.

  • Allein in diesem einen Buch berichtet er über rund 40 Fälle, bei denen die aktiv ausgesprochene Vergebung durch Gewaltopfer Veränderung bewirkt hat – gerade auch bei dem der vergibt.
  • Interessanterweise berichtet er als New Yorker Pastor auch von einen deutschen Sozialarbeiter aus Thüringen, Meik Franke, der eines Abends von einem jungen Mann, den er gerade liebevoll bewirtet hatte, von hinten mit dem Messer niedergestochen wurde (Arnold 2010, Wer vergibt, heilt auch sich selbst, S. 28-29). Das 1. Erstaunliche war, dass Meik noch die Kraft hatte, den Jungen niederzuringen bis die Polizei kam. Erst danach ist er kollabiert und in die Uniklinik nach Jena geflogen worden. Durch den Messerstich war ein Teil der Lunge zusammengefallen (S.30).
  • Drei Tage lang ringt er auf der Intensivstation vor allem mit der aufkommenden Wut. Er sagte zu sich selbst: „Lieber Meik, jetzt musst du aufpassen, damit aus dieser Geschichte keine `Psychokiste´ wird.“ (S.30).
  • Meik fragte sich dann, was wohl die Bibel dazu sagen würde? Nach kurzem Nachdenken war ihm klar, dass ihn aus diesem Teufelskreis der erlebten Gewalt nur die Vergebung befreien konnte. Obwohl er Christ war, war er in dieser Situation doch noch nicht dazu bereit. Alles in ihm schrie nach Vergeltung! Dann erinnerte er sich an Jesu Vorbild, der selbst seinen Henkern vergeben hatte.
  • Dann betete Meik doch um die Kraft, vergeben zu können. Zuerst war es nur verstandesgestützter Gehorsam.
  • Dieser Gebetskampf um Vergebung dauerte 2 Wochen; erst dann fand er Frieden und konnte aus ganzem Herzen vergeben.

Als Spezialist für derartige Fälle schließt Arnold die Bemerkung an: wenn er nicht sofort und konsequent darum gerungen hätte, hätte er es vielleicht nie geschafft, wirklich im Frieden zu vergeben (ebenda S. 30). Es ist schlichtweg falsch, wenn man denkt, dass die Zeit die Wunden heilt (die Zeit kann auch die Wunden durch Bitterkeit vertiefen).

Ganz ähnlich Bill Hybels 2015, Einfach, 10 Schritte zu einem aufgeräumten Leben, ebenfalls ein US-amerikanischer Pastor (WillowCreek), dessen Frau sich im Konflikt zwischen Israelis und Arabern engagiert (Familien-/Friedensarbeit), systematisiert das erschreckende Unrecht, das Menschen in derartigen Kriegen erleiden müssen:

  • kleine Vergehen
  • berechtigte Verletzungen
  • himmelschreiende Ungerechtigkeiten.

Zur dritten Kategorie werden ebenfalls erschreckende Einzelfälle aus dem Israel-Palästina-Konflikt berichtet. Z.B. Eltern, deren Kinder Friedensaktivisten waren und trotzdem ermordet wurden – die aber trotz der erlittenen Ungerechtigkeiten sich darum bemühen, nicht bitter zu werden.

Bei solch schrecklichen Erlebnissen muss häufig erst ein längerer Verarbeitungsprozess angestoßen werden, der im Regelfall erst später zu einer Vergebung führen kann:

  • Benenne das Unrecht!
  • Betrauere den Verlust!
  • Eigentlicher Vergebungsakt: den anderen frei sprechen und ihm die Schuld erlassen (nicht um seinetwillen, sondern um unseretwillen und um Jesu willen). Das Recht auf Vergeltung aufgeben.

Zur Vertiefung theologische Hinweise.