Grundsätze erfolgversprechender Führung (aktueller Forschungsstand FIDES 5/2016)
Von Dr. Christian Marettek
Wichtigste Basisstrategien der Managementforschung [1]: (zu jedem Grundsatz vgl. die separaten Links mit Literaturangaben)
1 Grundsatz der Beziehungsorientierung: Erfolgversprechende Führungsarbeit sollte sowohl leistungs- als auch beziehungsorientiert ausgerichtet sein und nach Möglichkeit auf gegenseitigem Vertrauen und Wertschätzung zwischen Geführtem und Führendem basieren! Dies gilt sowohl für die nahen Beziehungen (zu den Teammitgliedern) als auch für die eher fernen Beziehungen (z.B. eines Vorstandsmitglieds einer AG zu einzelnen MitarbeiterInnen in einer Zweigstelle). Ein Mindestmaß von Vertrauen ist unverzichtbar, wenn destruktive Einstellungen verhindert und im Ergebnis die Entfaltung des Potentials der Geführten gelingen soll. Im Idealfall gelingt über längere Zeit eine (durchaus freundschaftliche) Führung an der individuellen Leistungsgrenze.
2 Grundsatz der Stärkennutzung: Führungsarbeit muss vor allem anderen die bereits vorhandenen Stärken der Geführten identifizieren und bestmöglich nutzen – und nicht etwa potentielle Stärken entwickeln oder Schwächen vermindern, was überproportional Zeit und Energie kosten würde. Wenn es dann noch gelingt, echte Stärken mehrerer Kollegen arbeitsteilig so zu kombinieren, dass die Schwächen der Beteiligten bedeutungslos werden, dann können echte Konkurrenzvorteile entstehen.
3 Grundsatz der Bildung von überdurchschnittlich motivierten Teams auf allen Ebenen! Die Leistungsfähigkeit eines Teams ist dann am höchsten, wenn das Team wie eine Einheit auftritt – vergleichbar mit einer erfolgreichen Fußballmannschaft: jeder macht das, was er am besten kann, jeder kämpft für den anderen, gemeinsam wird geerntet (und entsprechend gefeiert) und alle identifizieren sich positiv mit der Mannschaftsleistung. Der Grundsatz, nach Möglichkeit überdurchschnittliche Teams zu bilden, gilt wirklich auf allen Ebenen – auf Ebene des Vorstandes einer AG (z.B. der ATO-AG) inklusive deren Stabstellen und Sekretariaten, genauso auf der Ebene eines Vorstandsmitglieds mit dessen (Haupt-)Abteilungsleitern – bis hin zu jedem Abteilungsleiter wie Robert, der genauso mit seinen Teamleitern ein primäres Team bildet wie jeder der Teamleiter mit dessen Teammembers.
4 Wirksame Strategiebildung geschieht hauptsächlich durch geeignete Neueinstellungen! Noch vor Ablauf der Probephase (bei der Einstellung) sollte es gelingen, mit dem Neuzugang einen informellen beidseitigen Kontrakt abzuschließen, den man im Idealfall folgendermaßen zusammenfassen kann: Der Neuzugang gibt wirklich in allen Bereichen sein Bestes und bleibt auch mindestens für etwa 3 bis 5 Jahre (damit sich die häufig aufwändige Einarbeit auch lohnt). Im Gegenzug investiert sich mindestens eine Führungskraft so leidenschaftlich mit seinem ganzen Knowhow in den Neuzugang, dass er optimale Lern- und Integrationsfortschritte macht.
5 Für eine adäquate Begleitung der Teams ist eine glaubwürdige Führungskultur der ganzen Organisation unverzichtbar! Destruktive Impulse oder Extravaganzen des Vorstandes können z.B. die Einsatzbereitschaft großer Personenkreise belasten. Daher ist es so wichtig, dass sowohl die nahen Führungskräfte (insbesondere Teamleiter und dessen Chef) als auch die entfernten Führungskräfte (z.B. Vorstände) eindeutig und glaubwürdig die Werte der Gemeinschaft vertreten; hierzu wird übereinstimmend an Bescheidenheit und Realitätssinn der Führungskräfte appelliert.Dabei ist von besonderer Bedeutung, wenn die Geführten feststellen, dass die Führungskräfte nachvollziehbar für Gerechtigkeit sorgen.
6 Resultatsorientierung als Kern jeder Führungsarbeit. Zwangsläufig ist eine Führungskraft nur wirksam, wenn sie die in der jeweiligen Einrichtung geltenden Ziele auch erreicht. Die Ziele können auch immateriell ausgerichtet sein. Der Führungsgrundsatz der Resultatsorientierung hängt eng mit dem Grundsatz zusammen, dass jede Führungskraft sich kontinuierlich darin üben muss, das Wichtige/Wesentliche in der jeweiligen Führungssituation zu erkennen – und sich eben nicht vom Unwesentlichen in ihrer Wirksamkeit aufhalten zu lassen.
7 Zu einer überdurchschnittlichen Führungskultur gehören im hauptberuflichen Bereich auch ein als gerecht empfundenes Beurteilungs- und Beförderungsmanagement sowie adäquate Controllingsysteme für die verschiedenen Organisationsbereiche. Hier werden die fast immer getrennten Bereiche des Personalmanagements und des Controllings bewusst zusammen betrachtet, weil dies aus Sicht der Geführten häufig so gesehen wird. Sowohl durch das Personalmanagement als auch durch das unternehmensinterne Controlling werden Feedback-Impulse von oben nach unten gegeben, die von hoher psychologischer Relevanz für die Geführten sein können – und die häufig nicht eine adäquate Qualität haben. Ein Beispiel: wenn z.B. über eine Umsatztabelle die Leistung eines akquisitorisch tätigen Bereichs beurteilt wird, an dem mehrere Bereiche tätig waren, dann kann dies zu großen Irritationen führen, dass das betreffende Controlling-Instrumentarium u.E. häufig eine zweifelhafte Kosten-Nutzen-Relation besitzt (zusammen mit den direkten Controlling-Kosten der Erstellung und Pflege komplexer Berichte bzw. in Relation zu ihrer destruktiven Motivationswirkungen). Trotzdem sollten die verantwortlichen Führungsebenen möglichst kontinuierlich einen (realistischen) Überblick haben über die Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken der verschiedenen Bereiche. Nach der hier vertretenen Auffassung sollte der Differenzierungscharakter des Planungs-, Budgetierungs- bzw. Controllingssystem kritisch hinterfragt werden. Intelligente Mehr-Jahresvergleiche auf Ist-Basis – verbunden mit differenzierten Erläuterungen zur realistischen Dokumentation der wichtigsten Entwicklungen im Sinne eines ganzheitlichen Berichtswesens (sowohl strategisch wie operativ ausgerichtet) dürften einer Organisation langfristig am meisten helfen. Die Führungsebenen sollten in allen Phasen der Begleitung der Geführten möglichst eine gesichtswahrende dialogische Kommunikationsform wählen.
8 Auch eine gewisse Feedback-Kultur von unten nach oben ist in der derzeitigen gesellschaftlichen Situation u.E. unverzichtbar für den langfristigen Erfolg einer Organisation. Festgestellte Defizite in der Mitarbeiterzufriedenheit (z.B. aus anonymisiert durchgeführten Umfragen) sollten in einer ehrlichen und transparenten Weise abgearbeitet werden (besonders wichtig je höher qualifiziert die MitarbeiterInnen sind).
Die psychologische Sicht guter Zusammenarbeit wird in den Führungsgrundsätzen 1-5 erfasst. Der Grundsatz sechs stellt die Verbindung zu den Zielen des jeweiligen Betriebs (und damit zur Ökonomie). Die Führungsgrundsätze 7 und 8 thematisieren die Ziele des organisierten Personalmanagements (Aufgaben der Personalabteilungen) und des Controllings.
Was sind überhaupt derartige Führungsgrundsätze? [3]
Aus wissenschaftlicher Sicht handelt es sich um Arbeitshypothesen, welche Art von Führungsarbeit in bestimmten Bereichen mit einiger Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend sein dürfte – vor allem langfristig – bezogen auf eine ganz bestimmte historisch-gesellschaftliche Situation in Deutschland bzw. Europa, die durch starke individualistische Strömungen geprägt ist. Die Ableitung sollte nach den Grundsätzen des philosophischen Pragmatismus aus konkreten anonymisierten Praxiserfahrungen im Sinne von „Best Practices“ erfolgen. Allerdings ist dieser Entwicklungsprozess u.E. erst in den Anfängen.
Die Abhängigkeit von einer bestimmten historisch-gesellschaftlichen Situation lässt sich mittlerweile auch empirisch zeigen, da jetzt bereits die ersten, im Wandel des Zeitgeists kulturell begründeten Neuauflagen älterer Managementbücher existieren. Siehe insbesondere Kenneth Blanchard, Spencer Johnson 2016, Der neue Minuten Manager, Vollständig überarbeitete Ausgabe für die Manager von heute, E-Book S. 10-11:
„Aber parallel zum Wandel der Zeit hat sich auch der Minuten-Manager verändert. Er hat jetzt einen neuen gemeinschaftlichen Ansatz, Menschen zu führen und zu motivieren. Als er erstmals seine Lehre der drei Geheimnisse veröffentlichte, war der Führungsstil von oben nach unten das vorherrschende Verhalten. Heutzutage zeichnet sich ein wirkungsvoller Führungsstil eher durch eine gleichberechtigte Beziehung aus. Dieses Konzept werden Sie im Neuen Minuten-Manager widergespiegelt finden. Heute legen die Menschen mehr Wert darauf, Erfüllung in ihrer Arbeit und in ihrem Leben zu finden. Sie möchten sich engagieren und einen sinnvollen Beitrag leisten. Es geht ihnen weniger darum, mit einem Job Zeit gegen Geld einzutauschen, um dann Bedürfnisse zu befriedigen.
Der neue Minuten-Manager zeigt dafür Verständnis und geht mit den Menschen entsprechend um – wohl wissend, dass sie entscheidend zum erfolg einer Organisation beitragen. Seine Priorität ist es, talentierte Mitarbeiter zu gewinnen und sie in der Firma zu halten.“
Wird mit der Managementlehre ein „Machbarkeits-Wahn“ verfolgt? [3]
Durch den praxisorientierten Empfehlungscharakter derartiger Führungsgrundsätze kann bei einem flüchtigen Leser der Eindruck entstehen, eine Führungskraft könnte ein erfolgreiches Managen quasi „garantieren“. Diesem Eindruck soll hier ausdrücklich widersprochen werden: Erfolg als Führungskraft ist natürlich nicht „machbar“.
Zur Frage nach dem vermeintlichen „Machbarkeits-Wahn“ lassen sich aber auch aus der psychologisch fundierten Managementliteratur einige wichtige Klarstellungen entnehmen:
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Das Fazit der Empfehlungen von Henry Mintzberg, einem der Begründer der empirischen Managementforschung kann folgendermaßen zusammengefasst werden: „Um ein fähiger Manager zu werden, braucht man keine einzigartige Begabung, dafür aber emotionale Gesundheit, klaren Verstand und – ganz unheroisch – Bescheidenheit.“[4]
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Auch der Gründer der Managementlehre Peter Drucker hat die Notwendigkeit einer demütigen Grundhaltung des Managers betont: So reift ein Manager nur zur wirksamen Führungskraft heran, wenn er sich selbst und seine Arbeitseffektivität erzieht.
Peter Drucker verlangt von den Managern ein hohes Maß an Selbstdisziplin, um nach einem längeren Prozess der Selbstentwicklung (durch disziplinierte Arbeit an sich selbst) ein höheres Maß an Effektivität (Wirksamkeit im Interesse der Organisation) zu erreichen und dadurch zu einer echten Führungskraft zu werden.
Drucker („Effektivität muss gelernt werden“) fordert, dass die „Führungskraft ihre Tätigkeit unter dem Gesichtspunkt eines nach außen wirkenden Beitrags betrachtet“ – dass die Führungskraft sich also selbstkritisch im Hinblick auf seinen persönlichen Beitrag im Hinblick auf die Ziele der Organisation hinterfragt (auch im Hinblick auf sein persönliches Gehalt, das angemessen zu sein hat).[5]
Bei einer echten (d.h. wirksamen) Führungskraft komme es nicht auf die glänzende Erscheinung oder das Genie an, sondern auf die bescheideneren, aber dauerhafteren Führungseigenschaften „der Hingabe, Entschlossenheit und ernster Zielstrebigkeit“.[6]
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Winfried Weber hierzu: „Drucker erkannte schon vor siebzig Jahren, dass Führungskräfte immer dann besonders motivierend sind, wenn sie zeigen, dass sie sich voll und ganz auf die Ziele des Unternehmens konzentrieren, wenn sie sich als Person nicht zu wichtig nehmen und wenn jeder Mitarbeiter spürt, dass das Management sich ganz der gemeinsamen Sache verschreibt.
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Unangemessene Privilegien und wasserdichte Verträge, die goldene Fallschirme sichern, sind extrem demotivierend und werden zu gesellschaftlichen Zeitbomben. In Japan verehrt man Peter Drucker heute unter anderem auch aufgrund dieses „Strebens nach Bescheidenheit“, wie es der Drucker-Kenner Atsuo Ueda ausdrückt.“ [7]
- Auch Dirk Baecker, ein Bielefelder Soziologe, plädiert schon im Titel des Buchs „Postheroisches Management“ für eine bescheidene Grundhaltung als Basis für einen langfristigen Erfolg: „Postheroisches Management ist so gesehen nichts anderes als ein Management, das sein Heldentum nicht mehr in der Verfügung über Kapitalvermögen und einer Inszenierung entsprechender Risikobereitschaften und Verantwortungen sucht, sondern einen neuartigen Spürsinn für die sachlichen und sozialen Dimensionen der Organisation von Arbeit und der Verteilung von Verantwortlichkeit entwickelt, die damit einher geht.“[8]Baecker hat mit diesen Zeilen m.E. sehr treffend und nüchtern beschrieben, worum es im Kern geht: um Spürsinn für gelingende Menschenführung: eine Führungsarbeit, die die Wissenschaftler als glaubwürdig anspricht und daher zur Kooperation im Sinne der gemeinsamen Sache überzeugen kann. Offenbar sehen zahlreiche Managementautoren, die sich über viele Jahre ernsthaft mit dem Phänomen sinnvoller Führungsarbeit beschäftigt haben, gerade in einer bescheidenen Grundhaltung eine wichtige Voraussetzung für den langfristigen Erfolg des Managers.“[9]
- Auch Daniel Pillow (Akademie für Führungskräfte Überlingen) forderte kürzlich in einem Interview von angehenden Führungskräften vor allem Demut.[10]
[1] Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 12f. u. 141.
[2] Malik 2006, Führen Leisten Leben, Wirksames Management für eine neue Zeit, S. 130.
[3] Marettek 2015, Steuerungsprobleme großer Universitäten in Zeiten der Exzellenzinitiative, S. 103-104; Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 27ff.
[4] Heinz K. Stahl in der FAZ vom 10.01.2012, S. 14, der die entsprechenden Kernsätze von Mintzberg 2010, Managen, S. 241 u. 301 m.E. treffend zusammenfasst.
[5] Drucker 1993, Die ideale Führungskraft, S. 255.
[6] Drucker 1993, Die ideale Führungskraft, S. 256-257. Vgl. ergänzend Drucker, Praxis des Managements, Düsseldorf 1956.
[7] Weber 2009, Der Mann, der viele Manager prägte, in : FAZ vom 16.11.2009, S. 12. Vgl. Weber (Hrsg.) 2009, Peter Drucker – der Mann, der das Management geprägt hat.
[8] Baecker 1994, Postheroisches Management, S. 18.
[9] Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 29.
[10] Bast 2012, Zum Führen gehört Herzenswärme – und Demut, Interwiew mit Daniel Pinnow, in: Staatsanzeiger Baden-Württemberg vom 14.10.2011, S. 23.