Parallelen zwischen Bibel und Managementforschung
von Dr. Christian Marettek
Überblick
Wenn man die von FIDES erarbeiteten Führungsgrundsätze bestimmten Bibelstellen gegenüber stellt, ergeben sich unter anderem folgende Parallelen (vgl. die ausgewählten Bibelstellen im Neuen Testament):
- Beziehungsorientierung, Stärkennutzung, Teambildung: Nach 1 Korinther 12 ist die Gemeinde der Gläubigen der Leib Christi; jedes Glied bringt seine Stärken ein. Paulus verwendet hier den Begriff der „Gaben des Geistes“ – also das was Gott dem Einzelnen schenkt.
- Führungskultur: Jesus sagt nach dem Markus-Evangelium 10,43: „Bei euch soll es anders sein. Wer euch anführen will, der soll euch dienen“. Das Thema „Leiter als Diener“ findet sich an ganz vielen Stellen der Bibel u.a. Matthäus 20,28, wo regelmäßig auch das Vorbild von Jesus betont wird. So beispielsweise Jesus als guter Hirte (Epheser 4,11; Johannes 10) der für Gerechtigkeit sorgt. Nach Gerechtigkeit zu streben, ist Aufgabe der Christen (z.B. Matthäus 5,6 und Johannes 7,24). Zum Thema Wertschätzung ist natürlich das doppelte Liebesgebot von Jesus wichtig: „Du sollst den Herrn deinen Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit deiner ganzen Kraft und all deinen Gedanken lieben. Und: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Lukas 11, 27). Vgl. hierzu auch die Management-Bewegung des Servant Leaderships.
- Resultatsorientierung: Matthäus 7,16: Jesus sagt: „An den Früchten sollt ihr sie erkennen„. Dies bedeutet, dass man an den „Früchten“ (Resultaten) des Tuns jedes einzelnen Menschen erkennen soll, ob/in welchem Umfang der jeweilige Mensch zu Gott gehört.
Fazit: Inhaltlich geht es hauptsächlich um eine liebevoll-realistische Einstellung zur Persönlichkeit des Geführten, um die Nutzung des Potentials (der Stärken) der Geführten und um einen gerechten Interessenausgleich. Was Jesus nach dem Neuen Testament über erfolgversprechende Beziehungsarbeit lehrt, findet sich offenbar auch in den Führungsgrundsätzen.
Defizite in der Konfliktbewältigung
Allerdings sind die Schwerpunkte der Lehre Jesu im Vergleich zur Managementliteratur in einem Punkt deutlich abweichend gewählt: Jesus geht es nachdrücklich um eine systematische Bewältigung aller wesentlichen Konflikte im Kollegenkreis (dies wird unten näher erläutert, weil die Konfliktforschung m.E. bislang nicht ausreichend in die deutschsprachige Managementforschung integriert ist).
In der Managementliteratur finden sich nur ausnahmsweise fundierte Hinweise zur Konfliktbewältigung. Interessanterweise sind gerade die Managementbücher die Ausnahmen, die offenkundig christlich geprägt sind, zuletzt Fischer 2016, Vom Leistungstief zum Leistungshoch, S. 55 ff, wo erfreulicherweise ein ganzes Kapitel zum Thema Vergebung existiert (wohlgemerkt ohne theologische Begründung, rein durch die Praxis der Managementberatung begründet; Martin Fischer war vor seiner Zeit als Managementberater katholischer Diakon).
Auch nach den langjährigen Praxiserfahrungen aus der Organisationsberatung des FIDES-Autorenteams kann die Managementpraxis noch viel von der christlichen Lehre der Vergebung profitieren. Daher haben wir im Folgenden das Thema Vergebung auch theologisch vertieft.
Vergebung gemäß der Bergpredigt (Matthäus 5 bis 7)
Die dahinterstehende Weisheit ist so zentral – und trotzdem immer wieder ungeglaubt oder verdrängt – dass wir uns die Macht der Vergebung (bzw. den Versuch dazu) als einen Kern der christlichen Botschaft immer wieder bewusst machen sollten. Es ist nämlich nicht so, dass die Lehre Jesu von der Vergebung, die er z.B. in der Bergpredigt in den Mittelpunkt gestellt hat, etwas Nebensächliches wäre! Selbst viele Christen sehen die Ideale der Bergpredigt manchmal als etwas Unerreichbares oder Fernes, das nur dazu da ist, die Heiligkeit Gottes einerseits und die Sündhaftigkeit des Menschen andererseits zu bestätigen.
Aber schauen wir uns doch die Bergpredigt Jesu in Mt. 5-7 etwas näher an, zunächst die Seligpreisungen in Mt 5, Verse 3-10:
Gott segnet die, die…
- erkennen, dass sie ihn brauchen (die, die geistlich arm sind)
- traurig sind (Leid tragen),
- freundlich sind (sanftmütig),
- nach Gerechtigkeit hungern,
- barmherzig sind,
- ein reines Herz haben,
- Frieden stiften,
- sich Gott zur Verfügung stellen
- Verfolgung aushalten.
Darf ich den Leser fragen: was ist Deine Meinung über diese Lehre? War Jesus ein Traumtänzer oder hat er nicht vielleicht die wichtigsten Probleme der Menschen – nämlich ihre Zerstrittenheit – erkannt?
Überlegt Euch mal, was aus Sicht von Gott wohl die größten Probleme der Menschen wären? Wenn er auf seine Menschen schaut, was stört ihn wohl am meisten?
Streit und Krieg, schwelende Konflikte aller Art, angefacht durch Hass, der wiederum aus erlebtem Unrecht und schlimmen gegenseitigen Verletzungen resultiert! Was ist mit diesen Menschen anzufangen, solange die unerträglichen Konflikte nicht bewältigt werden?
Für mich ist die Liste der Seligpreisungen zwar eine gewisse „Zumutung“ Jesu – aber doch hart realistisch: das Programm zur Überwindung der menschlichen Konflikte!
Wenn man die gesamte Bergpredigt betrachtet, dann ist die Zuspitzung auf das Gebot der Feindesliebe natürlich besonders zu betrachten. Klar ist auf jeden Fall, dass das Thema Vergebung und Versöhnung so etwas wie das Lebensthema von Jesus war, der den Messias-Dienst als leidender Knecht Gottes im Sinne von Jesaja 53 vorleben wollte (damit wir an die Versöhnung mit Gott glauben können).
Im Folgenden wird anhand jeder Seligpreisung kurz gezeigt, was die Bergpredigt auch am Arbeitsplatz helfen kann:
Zur ersten Seligpreisung (Selig die da geistlich arm sind)
Konflikte können doch nur überwunden werden, wenn wir Menschen erkennnen (Mt 5,3, 1. Seligpreisung), dass wir IHN dafür brauchen! Für alles wirklich Konstruktive bzw. gelingende Führung (und gelingendes Geführtwerden) brauchen wir m.E. Gottes Hilfe. Ansonsten bleibt Bitterkeit und Frust.
Häufig kann nur durch ganz viel hartnäckiges und leidenschaftliches Gebet so etwas gelingen, wie ein aktiver Einstieg in Vergebung im Sinne von echter Konfliktbewältigung. Diese Weisheit wird durch die weiteren Seligpreisungen schrittweise konkretisiert, wobei es um immer wieder um Schritte auf dem Weg der Vergebung (für das Ziel der Versöhnung zwischen gegenseitig verletzten Menschen) geht!
Zur zweiten Seligpreisung (Selig die Leid tragen)
Wenn jemand bereit ist, Leid zu tragen (Mt 5,4) – ist das nicht ein „Einstieg“ in einen echten Versöhnungsprozess? Ja ich denke dies und Jesus mutet es uns zu: Wir sollen unser Kreuz tragen und auch bereit sein, einander das Leid zu tragen. Ein weiser Seelsorger muss vor allem zunächst Zuhören! Also das Leid des Bruders nicht abwerten, sondern mittragen!
In diese Thematik gehört auch der Frust über einen Chef oder Kollegen bei schwelenden Konflikten, die man partout nicht lösen kann.
Kennen Sie dies: eigentlich ist die Beziehung gar nicht so schlecht – aber ein bestimmtes Verhalten irritiert doch immer wieder unbewusst oder bewusst. Hier geht es nicht um große Konflikte, sondern um die kleinen Reibereien im Alltag!
Gerade wenn es so ein kleiner, aber schmerzhafter Konflikt existiert, mit dem man eigentlich leben kann – der aber doch immer wieder sauer aufstößt.
In diesen Fällen habe ich schon erhebliche Erleichterung gefunden, wenn ich mich vor Gott entscheide, diesem Kollegen nicht mehr sauer zu sein – auch wenn er sich nicht entschuldigt! Mit Gottes Hilfe kann so etwas wirklich gelingen. Im Gebet kann ich mich z.B. ausdrücklich darauf beziehen, dass Jesus will, dass wir Leid tragen – er dann auch helfen kann.
Zur dritten Seligpreisung (Selig die Sanftmütigen)
Der nächste Schritt ist sanftmütig bleiben – auch wenn alles sehr eindeutig scheint! Wenn ich oder mein Freund durch eine böse Tat eines Kollegen verletzt wurde. Dann den Täter nicht zu verurteilen – und auch keinem Hass Raum zu geben – dazu gehört viel. Das schaffen wir meist auch nur mit Gottes Hilfe!
Und es ist doch so wichtig, im Kollegenkreis sanftmütig zu bleiben – auch keine falsche Solidarität des Hasses z.B. ggü. einem bestimmten Chef aufkommen zu lassen, der sich falsch verhalten hat. Nur so haben wir überhaupt eine Chance, dass sich die Beziehungen wieder erholen können! Nur so kann tatsächlich das Wunder geschehen – wie es Jesus gelehrt hat, dass irgendwann das Böse durch Gutes überwunden wird.
Sanftmut ist das Gegenteil von Gewalt. Wenn wir immer wieder von Familienfehden, Blutrache und die Kriege in Nahost lesen – dann kann man erahnen, welches Potenzial weitgehend ungenutzt schlummert. Das gilt in etwas abgemilderter Weise aber auch für unsere Betriebe. Wie viele völlig zerstrittene Abteilungen existieren. Jesus will uns lehren, dass wir damit nicht abfinden dürfen.
Zur vierten Seligpreisung (Selig die nach Gerechtigkeit hungern, denn sie werden sie im Überfluss erhalten)
Hier sind die Parallelen so eindeutig, dass ich auf die entsprechende Seite verweisen kann.
Aber noch einige Hinweise auf die Verheißung „denn sie werden sie im Überfluss erhalten„:
Wenn man die häufig gerade am Arbeitsplatz erlebten Ungerechtigkeiten verarbeiten muss (wie die Helden des FIDES-Buchs in den Fallstudien 7-10), dann hilft diese Verheißung vielleicht etwas.
Sowohl Psychologie als auch BWL sind sich übrigens dazu weitgehend einig: langfristig lohnt sich – vereinfachend gesagt – Gerechtigkeit auch für Konzerne. Da muss man nicht nur das unterschiedliche Schicksal von dm im Vergleich zum insolventen Schlecker-Konzern bemühen, bei dem eine extrem geringe Mitarbeiterzufriedenheit bekannt war.
Die großen Unternehmen sind darauf angewiesen, dass sie auch wirklich gute Talente an sich binden können – das geht im Grunde nur, wenn der Konzern auch bei Wettbewerben wie „attraktivster Arbeitgeber“ zumindest gelistet ist. Gleiches kann man auch für die Kunden- und Lieferanten-Seiten sagen: Unternehmen, die in der Öffentlichkeit als Ausbeuter dastehen, haben sofort einen Wettbewerbsnachteil. Entsprechendes gilt auch wenn unfaire Lieferbedingungen bzw. das „Knebeln“ der Lieferanten bekannt wird. Oder wenn beim Produkt getrickst wird! Denken wir an das VW-Debakel wegen gefälschter Abgaswerte 2015!
Mittlerweile findet sich folglich selbst in der Managementliteratur wiederholt die Überzeugung, dass langfristig nur ein fairer Interessenausgleich mit allen drei Personengruppen (Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten) in einer offenen Gesellschaft Erfolg verspricht.
Selbst die Volkswirtschaftslehre hat nach dem teilweise als Debakel erlebten Shareholder-Value-Konzept (Anfang des 21. Jahrhunderts) eine zu starke Kurzfristigkeit als destruktiv identifiziert. Man denke nur an das Buch von Alfred Rappaport 2008, Saving Capitalism from Short Termism.
Auch der Einsatz für Gerechtigkeit in politischen Umfeld ist im Grunde durch nichts zu ersetzen.
Daron Acemoglu und James A. Robinson 2012, Warum Nationen scheitern, Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut, zeigen im Marsch durch die Jahrhunderte in faszinierender Weise, das es immer wieder vom konkreten Verhalten der führenden Köpfe eines Volkes abhängt, ob die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahrzehnte eher in Richtung Wohlstand oder Armut verläuft.
Ob eher eine Partizipation vieler Bürger ermöglicht wird und die entsprechende Anreize und Freiräume existieren – oder ob die Herrschenden eher extraktiv Vermögen aus dem Volk ziehen und buchstäblich als Oligarchen das Land ausbeuten. Bei den eher inklusiven, als gerecht empfundenen staatlichen Strukturen ist nach der historischen Studie die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass ein Wohlstand für viele geschaffen bzw. ausgebaut werden kann. Das Streben nach Gerechtigkeit lohnt sich also offenbar für viele.